Leben Eduards des Zweiten von England
von Bertolt Brecht in Zusammenarbeit mit Lion Feuchtwanger
nach Christopher Marlowe

Die Wiederentdeckung eines frühen Brecht-Stücks (nach einer Vorlage des Shakespeare-Zeitgenossen Christopher Marlowe) über den unglücklichen König Eduard und seinem Geliebten Gaveston. Ein Plädoyer für die Freiheit eigener Lebensentwürfe auch unter gesellschaftlichem Druck. Ein wortgewaltiges, sinnliches und selten gespieltes Drama über Ausgrenzung, Tyrannei und Königsmord.

Eingeladen zum Shakespeare Festival Neuss.


Inhalt:

Leben Eduards des Zweiten von England
Oder besser:
Liebe Eduards des Zweiten von England?

Denn dies ist die tragische Geschichte einer großen Liebe. Zwischen Eduard dem Zweiten, König von England (1284-1327) und Gaveston, seinem „Günstling“. Diese große Liebe des Plantagenet-Königs steht unter keinem guten Stern im England des frühen 14. Jahrhunderts, unter den Augen der strengen Peers am Hofe! Im Beisein der aus Frankreich stammenden, unglücklichen Königin Anna, die zuerst noch bedingungslos zu ihrem Ehemann Eduard steht, dem Vater ihres Sohnes, um dann mehr und mehr an dieser Liaison zu zerbrechen? Am Ende instrumentalisiert vom Peer Mortimer, der um der Macht willen Königin Anna zu seiner Mätresse degradiert, um seinen Einfluss auf den jungen Prinzen zu festigen und die Herrschaft in England an sich zu reißen. Diese Liebe zwischen Eduard und Gaveston hat keine Chance!

Und hier beginnt die zweite Geschichte im Stück:
Leiden Eduards des Zweiten von England.

Darin geht es um nichts weniger als um Königsmord. Ein Krimi, an dessen Anfang die Gefangennahme und Ermordung des Geliebten Gaveston durch Mortimer steht, auf dessen Fuß sofort die fürchterliche Rache Eduards folgt, indem er alle Peers hinrichten lässt und nur Mortimer, aus einer fast selbstzerstörerischen Laune heraus, am Leben lässt. Ein fataler Fehler, wie sich zeigen wird. Denn eben dieser, im Leben immer zu kurz gekommene Büchermensch Mortimer, der sich eigentlich schon aus der Politik zurückgezogen hatte, entdeckt die Lust in sich „abzuziehen die Haut dem Tiger“ und wird zum gewissenlosen Intriganten, zum ausgewiesenen Feind des verliebten Königs und letztendlich zum Meuchelmörder an Eduard dem Zweiten. Ein Tyrann!

Königin Anna wird von Mortimer manipulativ auf seine Seite im Kampf um die Krone gezogen und beide führen daraufhin einen 13 Jahre währenden Krieg gegen den rechtmäßigen König. Daran zerbricht nicht nur Anna, die für ihren kleinen Sohn Prinz Eduard die Regierungsgeschäfte übernehmen und in Mortimers Mörderhände legen will, sondern auch der, in den langen Kriegsjahren heimatlos umherziehende Eduard. Nun ein Getriebener, Enttäuschter und nur noch ein gebrochener Schatten seiner selbst. Von opportunistischem, ihn ausnützendem Geschmeiss umgeben, wird er am Ende vom eigenen Tross verraten und an Mortimer ausgeliefert. Und erst hier wächst der vermeintlich schwache, seinem Kriegervater Edward Longshank zu feminine und in Wirklichkeit einfach „nur“ schwule junge Mann über sich hinaus und findet zu königlicher Größe. Indem er Mortimers Ansturm, der Krone und damit auch der bereits verlorenen Liebe zu entsagen, standhält und sich weigert: NEIN! NEIN! NEIN!

Dieser Fähigkeit, NEIN zu sagen, maß Brecht lebenslange Bedeutung bei! Und vermisste diese schmerzlich bei seinen Mitbürgern, vor allem in den dunklen Vorkriegsjahren in Deutschland.

Tod Eduards des Zweiten von England.

Eduards Passionsgeschichte findet ihr klägliches Ende in der Kloake von London. Gefoltert, gedemütigt, bis zum Halse in den Fäkalien seines Volkes stehend, bleibt er bis zum Ende seiner Entscheidung treu, die Königswürde nicht abzulegen und bezahlt es mit seinem unglücklichen Leben. Sein Sohn wird daraufhin legitimer Nachfolger auf Englands Thron: Eduard III. Und die erste Amtshandlung des mittlerweile 15-jährigen Königs wird sein, seinen Vater zu rächen, indem er Mortimer aufs Schafott schickt und seine Mutter Anna in den Tower werfen lässt. Dieser Eduard III. kommt ganz nach seinem Großvater Eduard I.: Ein junger Kerl und Krieger vor dem Herrn, der England in den 100 Jahre dauernden Krieg mit Frankreich stürzen wird. Die Zeiten des liebesvollen aber glücklosen Eduards des Zweiten sind vorbei. Es lebe der König!


Hier ein Interview mit B. K. Tragelehn, welches anlässlich unserer Inszenierung von Bertolt Brechts LEBEN EDUARDS DES ZWEITEN VON ENGLAND geführt wurde >>

(c) Neues Globe Theater GbR, 2019

Abdruck (auch in Auszügen) nur mit Genehmigung des Neuen Globe Theaters.


Entstehung des Stücks

Bertolt Brecht schrieb dieses Drama 1924 zusammen mit Lion Feuchtwanger, anlässlich seiner allerersten Regiearbeit an den schon damals berühmten Münchner Kammerspielen. Ursprünglich sollte er Shakespeares Macbeth dort inszenieren, auf Anraten Feuchtwangers entschied man sich aber für Christopher Marlowes Stück The Troublesome Reign and Lamentable Death of Edward the Second (1592), das als direkter Vorläufer für Shakespeares Charakterdramen, vor allem Heinrich VI., Richard II. und Richard III. angesehen wird. Weil Brecht die damalige, durchweg im Blankvers gehaltene Übersetzung nicht zufriedengestellt hatte, griff er zusätzlich auf Marlowes Original zurück und schrieb das Stück in der Folge sozusagen neu. Brecht selbst betonte später, dass seinen Eduard „die Anfänge einer neuen Bühnensprache“ bemerkenswert machten.

Einige grundlegende Entdeckungen des epischen Theaters machte Brecht bereits mit diesem frühen Werk seiner vormarxistischen Schaffensphase. Zum Beispiel die von Karl Valentin initiierte kreideweiße Maske der Soldaten, um den Terror und die Müdigkeit des Krieges zu suggerieren. Weil: „Furcht hams, blass sans.“ Die Geburtsstunde des Brecht’schen Verfremdungseffektes! Auch tritt in Brechts Eduard, wie übrigens bereits im Marlowe’schen Original, die historische Handlung hinter die individuell handelnden Charaktere zurück. Der später für das epische Theater prägende Begriff der zu spielenden Fabel, der Handlung die etwas „bedeutet“, wird hier zum ersten Mal angewendet.

Brechts Stück übertrifft Marlowes in Tiefe und dramatischem Handwerk bei weitem. Sein dramatisches Genie ist voll am Werk und zeigt die Sinnlosigkeit menschlichen Ehrgeizes und die blinden Verdrehungen des Schicksals. Die dramatische Virtuosität dieser Tragödie ist unverkennbar. Trotzdem hat Brecht nie wieder in solch tragischer Weise geschrieben! Interessanterweise wurde Brecht nie dafür belohnt, dass er der erste große Dramatiker war, der eine schwule Geschichte in einem modernen Stück in den Mittelpunkt stellte.

Ein wortgewaltiges, großes und selten gespieltes Drama von Brecht mit einer heute noch aktuellen und überraschend modernen Fabel über die Unmöglichkeit, in gewissen gesellschaftlichen Zwängen seine sexuelle Orientierung auszuleben, ohne dafür an den Pranger gestellt zu werden. Ein Stück über Männer, die keine „echten“ Männer sein können, über Frauen, die von Opfern zu Tätern mutieren und über Politiker, die zu Tyrannen werden. 

Das NEUE GLOBE THEATER verortet Bertolt Brechts Leben Eduards des Zweiten von England zeitlich und räumlich im Hier und Jetzt, wie schon im elisabethanischen Theater üblich: Auch damals spielte man in den Kostümen der Zeit (damals in denen der Renaissance) und in nur angedeuteten Bühnenbildern, die den Zuschauern die Übertragung in die Gegenwart erleichtern sollten.

Gefördert durch die Landeshauptstadt Potsdam.


Pressestimmen:

Kritik der Premiere in der PNN – Potsdamer Neueste Nachrichten – vom 15.6.2019, von Astrid Priebs-Tröger hier >>

Kritik der SZ Süddeutsche Zeitung hier >>

Kritik im Ostholsteiner Anzeiger hier>>

Vorbericht in der PNN – Potsdamer Neueste Nachrichten – vom 13. Juni 2019, von Sarah Kugler hier >>

Vorbericht in der SIEGESSÄULE hier >>

Kritik Augsburger Allgemeine hier >>

Kritik in Der Kreisbote / Landsberg hier >>

Kritik in rp-online, Rheinische Post, Shakespeare Festival Neuss hier >>

Kritik Kultur-Extra, ufaFabrik Berlin hier >>

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