Diener zweier Herren21. Februar 2023
Coming soon!
Buchbar ab Mai 2024
In Carlo Goldonis Meisterwerk der Commedia dell‘arte DIENER ZWEIER HERREN folgen wir dem ewig hungrigen Diener Truffaldino aus der Provinz Bergamo dieses Mal, in der neuen Bearbeitung von John von Düffel, ins beschauliche Pforzheim der 1970er Jahre. Und der macht aus ihm kurzerhand den ewig hungrigen Kemal!
Wenn es daheim keine Arbeit gibt, muss man halt seine sieben Sachen packen und sein Glück in der Fremde suchen. Und wo sonst, als im aufstrebenden Baden-Württemberg, gibt es 1973 lukrativere Jobs und schmackhafteres Essen?
Leider hat Kemal seine Rechnung ohne den Wirt gemacht, der hier Gundolf heißt und das Hotel-Restaurant „Zum Goldenen Carlo“ führt, zusammen mit Rosi, seiner sehr heiratsfähigen Tochter, und Blondina, einer ebenso resoluten wie italienischen Gastonomiearbeiterin. Und die gefällt ihm sehr!
Das hilft nur eins: Ein Job muss her! Denn Taschen und Magen sind leer …
Aber warum nicht gleich zwei Jobs, dann gibt‘s doch auch doppelt Essen? Gesagt, getan. Aber schon sieht Kemal sich in einem Dilemma: Zwei Herren zu dienen, einem schwedischen Filmproduzenten und einem seltsamen Mafioso, wobei letzterer sich als Herrin entpuppt, die wiederum dem feschen Schweden verfallen ist – das ist dann doch etwas Zuviel, für unseren leicht chaotischen „Ich-bin-zwei-Gastarbeiter“-Hans-Dampf-in-allen-Gassen!
Flankiert wird Kemals Suche nach Essen und Anerkennung vom mysteriösen Tod eines gewissen Federico Rasponi, Spross eines italienischen Clans mafiöser Abstammung aus Mannheim, der plötzlich und quicklebendig die Hochzeit seiner ehemaligen Verlobten Rosi mit dem „notgeilen Anwaltssohn“ Siegfried sprengt und Ansprüche auf die Ex und vor allem deren Mitgift erhebt. Oder geht es hier um Schutzgeld? Zumindest Frau Lombardi will sich nicht damit abfinden, die lukrative Hochzeit ihres Sohnes Siegfried mit der Wirtstochter platzen zu lassen, und zieht vor Gericht … Werden am Ende doch noch alle Töpfe ihren Deckel finden?
Getreu dem Motto „Lieber Maultaschen für alle, als Maulschellen für mich!“, erleben Sie Kemal in der Rolle seiner Lebens: als Doppel-Diener im Turbogang und als gastronimischer Wirbelwind in Gundolfs schwäbischer Perle der Gastlichkeit.
Lachen garantiert!
Interview mit John von Düffel
Sieben Fragen an John von Düffel
Lieber Herr von Düffel, lange habe ich nach einer neuen Bearbeitung von Goldonis Commedia dell’arte Klassiker „Der Diener zweier Herren“ gesucht, bis ich endlich auf Ihre wirklich sehr frische und komödiantische „Pforzheimer Fassung“ gestoßen bin. Was hat Sie daran gereizt, die Handlung aus dem Venedig von 1746 ins Ländle der 1970er Jahre zu verpflanzen?
JvD: Die Lebendigkeit der Commedia dell’arte liegt im Spiel mit gewissen Typen und sozialen Unterschieden, den Studierten und den einfachen Leuten, den Besitzenden und den Hungernden, großen und kleinen Konflikten. Dabei ist der unzerstörbare Spaß der Commedia, das Oben und Unten der Statusunterschiede auf den Kopf zu stellen und eine mutige Geschichte des Überlebens zu erzählen. So auch bei Truffaldino, der aus Hunger und Verlegenheit zum Diener zweier Herren wird. Die Commedia aus Goldonis Zeiten gibt es nicht mehr, aber die Typen und die sozialen Unterschiede gibt es nach wie vor, und da ja nicht immer alle Geschichten in Berlin spielen müssen, kam ich auf die Goldschmiede-Stadt Pforzheim, die gleichzeitig einer der Schmelztiegel der Migration ist.
Beim Lesen Ihrer Bearbeitung musste ich immer wieder an Alfred Tetzlaff, Klimbim und eine gewisse Anarchie im öffentlich-rechtlichen Fernsehen der frühen 1970er Jahre in Westdeutschland denken. Hatten Sie ähnliche Assoziationen beim Schreiben?
JvD: Ja, die Zeitverschiebung in die 70er Jahre und der Retro-Charme der Vergangenheit helfen dabei, das Thema Migration, das heute so extrem und aufgeladen diskutiert wird, mit Abstand und einem gewissen Nostalgiefaktor zu betrachten. Das Tolle an der Vergangenheit ist ja, dass alle, die im Theater sitzen, wissen, wir haben sie überlebt. Ganz so schlimm kann es also nicht gewesen sein.
Aus Truffaldino wird in Ihrer Fassung Kemal, ein türkischer Gastarbeiter der zweiten Einwanderungswelle in die BRD im Jahr 1973. Eignet sich dieser Kemal heutzutage als positiver Held?
JvD: Er ist ein Underdog und eher ein Held wider Willen. Lieber würde er nach getaner Arbeit und möglichst wenig blauen Flecken satt und zufrieden ins Bett gehen. Seine Bedürfnisse sind einfach, seine Träume bescheiden und seine Ambitionen gering. Aber Not macht ihn erfinderisch, und da er von einer Klemme in die nächste stolpert und so gut wie kein Fettnäpfchen auslässt, muss er als Spieler und Improvisator über sich hinauswachsen. Am meisten Freude macht es mir, ihm beim Erfinden seiner Notlügen zuzusehen und mitzuerleben, wie er sich immer noch gerade so aus dem Schlimmsten herauslaviert. Dieses Spielerische im Umgang mit den allergrößten Schwierigkeiten wünsche ich mir manchmal – nicht nur für mich, sondern für viele andere auch!
Die Einwanderungssituation in Deutschland wird heute, laut Umfragen, als eine der wichtigsten Herausforderungen der deutschen Politik angesehen. Ist dieser Aspekt nur eine Fußnote in Ihrer Stückfassung oder brechen Sie auch eine Lanze für eine sogenannte „Wirtschaftsmigration“?
JvD: Das Stück hat keine politische Botschaft im Parteibuch-Sinn. Die Commedia ist eine zutiefst menschlich-allzumenschliche Kunst. Dadurch hat sie eine große empathische Kraft und die Wucht des befreienden Gelächters. Die Chance der Geschichte liegt also eher darin, dass man der Underdog-Perspektive begegnet und über weite Strecken des Stückes mit Figuren lacht, über die man sonst vielleicht eher den Kopf schüttelt und die man nicht zu verstehen glaubt.
In der Jury-Begründung zur Förderung unserer Produktion durch das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg heißt es u.a.: „Es ist erstaunlich, wie aktuell die vom Theater Pforzheim in 2013 an John von Düffel vergebene Auftragsarbeit einer Neuschreibung des Commedia dell’arte Klassikers “Der Diener zweier Herren“ von Carlo Goldoni ist. Hier werden mit Mitteln der Komödie zeitrelevante Fragen gestellt – auch um ausländerfeindliche Klischees aufzubrechen – in Anbetracht der wirtschaftlichen Ambitionen in Brandenburg mit der Ansiedlung globaler Unternehmen und dem demografischen Wandel ein höchst zu begrüßendes Vorhaben. Auch empfiehlt das Neue Globe Theater mehr Gelassenheit und den Blick auf die Bereicherung anderer Kulturen zu bewahren.“
War das bereits Ihr Gedanke, als Sie die Auftragsarbeit für das Stadttheater Pforzheim angenommen haben?
JvD: Am Theater Pforzheim war damals ein langjähriger Schauspieler-Kollege und guter Freund von mir Schauspieldirektor, Murat Yeginer. Er war und ist einer der ersten Gastarbeiter-Söhne, die es auf deutsche Sprechbühnen geschafft haben. Die Ironie des Schicksals wollte es sogar, dass er nach seiner Zeit in Pforzheim leitender Regisseur am Ohnsorg-Theater in Hamburg wurde. Seine Geschichte ist also eine der Integration und Assimilation, teils unter schwierigsten Bedingungen. Die Art und Weise, wie er manchmal um sein Leben gespielt oder sich aus der Not herausimprovisiert hat, war für mich beim Schreiben der Neufassung eine Inspiration.
Ich habe einige Stücke von Ihnen gelesen, Sie arbeiten sich immer wieder gerne an klassischen Stoffen und Figuren ab. Was reizt sie daran, alte Geschichten in neue Zusammenhänge zu stellen?
JvD: Ich glaube, dass in den alten Geschichten eine große Kraft steckt, deswegen – und nicht nur wegen der Lehrpläne von Schulen und Universitäten – sind sie Klassiker geworden. Doch diese Kräfte, das Lustmachende und Lebendige der klassischen Geschichten, wird oft von Bücherstaub und Fußnoten überdeckt. Aufgabe des Theaters ist es aus meiner Sicht, diese Geschichten immer wieder neu und immer wieder anders zum Leben zu erwecken, für ein Publikum von heute Zugänge zu legen und unsere Gegenwart mit anderen, scheinbar fernen Zeiten zu verbinden.
Ab 2025 leiten Sie als Intendant das E.T.A. Hoffmann Theater in Bamberg. Herzlichen Glückwunsch! Bleibt da noch Zeit zum Schreiben?
JvD: Das hoffe ich sehr! Schließlich möchte ich den Beweis antreten, dass Theater ein Gesamtkunstwerk ist, zu dem nicht nur Regie, Bühne, Kostüme und ein tolles Ensemble gehören, sondern auch Autorinnen und Autoren, die mit Sprache umgehen können und dafür sorgen, dass das Literarische und das Leben sich verbinden. In diesem Sinne ist der Name des Autors E.T.A. Hoffmann natürlich Programm.
Lieber Herr von Düffel, vielen Dank für dieses Interview!
Die Fragen an den Autor John von Düffel stellte der Regisseur Kai Frederic Schrickel schriftlich im Februar 2024.
Carlo Goldoni (* 25. Februar 1707 in Venedig; † 6. Februar 1793 in Paris)
1707
wurde Carlo Goldoni am 25.Februar in Venedig geboren. Er studierte zunächst
Philosophie, dann Medizin und Jura, schloss sich vorübergehend einer Schauspieltruppe an und ließ sich dann als Rechtsanwalt für einige Jahre in Pisa nieder. Er war in seinem Beruf sehr erfolgreich und schrieb in dieser Zeit mehrere Theaterstücke, darunter
1745
„Der Diener zweier Herren“
1748
folgte Goldoni der Einladung des Theaterdirektors Girolamo Medebach, der ihn als Hausautor an das Teatro Sant‘ Angelo in Venedig verpflichtete. Später wechselte Goldoni zum Teatro Sc Luca. In dieser Zeit verfasste er viele seiner erfolgreichsten Werke und reformierte die Commedia dell‘arte, in dem er das Spiel mit Masken abschaffte und die Schauspieler nur vorgegebene Texte spielen ließ. Dadurch war er zahlreichen Anfeindungen ausgesetzt, so dass er Venedig verließ, um in Parma und in Rom zu arbeiten.
1759
kehrte er noch einmal in seine Heimatstadt zurück, doch sofort entbrannte wieder ein heftiger Streit um seine Theaterreform. Goldonis größter Gegner war Carlo Gozzi. Verbittert über die ständigen Anfeindungen folgte er
1761
einer Einladung der „Comédie Italienne“ nach Paris. Auch dort stieß seine Reform auf wenig Gegenliebe.
1765
zog er sich ganz vom Theater zurück, um am Hof von Versailles eine Stellung als Italienischlehrer der Töchter König Ludwig XV. anzunehmen.
1780
kehrte er fast völlig erblindet nach Paris zurück. Nach der Französischen Revolution wurde seine königliche Pension gestrichen.
1793
starb Goldoni völlig verarmt und erblindet in Paris.
Sein Gesamtwerk umfasst u.a. 137 Komödien und 55 Opernlibretti. Zu seinem bekanntesten Werke zählen: Der Diener zweier Herren, Das Kaffeehaus, Mirandolina, Trilogie der Sommerfrische und Krach in Chiozza.
Zur Entstehung des Stückes
„Mitten in meiner Tätigkeit als Rechtsanwalt in Pisa erhielt ich einen Brief aus Venedig, der mich zerstreute und mein Blut und alle meine Lebensgeister in Bewegung setzte. Es war ein Brief von Antonio Sacchi. (…) Er gab mir den Stoff zu einem Lustspiel in die Hand, das ich nach freiem Gefallen bearbeiten sollte. Welch eine Versuchung für mich! Sacchi war ein vortrefflicher Schauspieler, und das Lustspiel war von jeher meine Leidenschaft gewesen. Ich fühlte, daß der ehemalige Geschmack, dasselbe Feuer, derselbe Enthusiasmus wieder in mir erwachten. Der Gegenstand, den er mir vorschlug, war: Der Diener zweier Herren. Ich hatte schon den Plan gemacht, wie ich diesen Stoff benutzen wollte, ich sah den Hauptakteur, der das Stück spielen sollte, im Geiste vor mir, ich brannte vor Begierde, noch einen Versuch zu wagen. Aber wie sollte ich es machen? Die Prozesse, die Klienten strömten mir von allen Seiten zu. (…) Und doch, dachte ich, armer Sacchi! – „Der Diener zweier Herren“! – Aber nein! … Aber ja! … Kurz, ich schrieb, ich antwortete, ich versprach es ihm. Den Tag über arbeitete ich an meinen Geschäften und die Nacht über an meinem Lustspiel. Ich wurde fertig damit und schickte es nach Venedig. Niemand wußte warum, meine Frau allein war meine Vertraute; auch litt sie soviel dabei wie ich selbst. Denn, man denke, ich war die Nächte über auf. Sacchi meldete mir einige Zeit darauf den Beifall, den mein Stück erhalten habe. „Der Diener zweier Herren“ war beklatscht worden und hatte ganz unglaublichen Zulauf.“
Carlo Goldoni
Theater ohne Maske – Goldonis Reform
„Ich schuf die Maske ab (die die Schauspieler der Commedia dell‘arte trugen. Anm. d. Red.), denn die Maske muss der Aktion des Schauspielers immer im Wege sein. Er mag freudig oder kummervoll, verliebt, aufgebracht oder lustig sein, so sieht man doch immer nur dieselben Mienen auf dem bemalten Leder. Er mag gestikulieren und den Ton ändern, wie er will, so kann er doch nicht durch die Gesichtszüge – die wahren Dolmetscher des Herzens – die verschiedenen Leidenschaften, die seine Seele bestürmen, ausdrücken. (…)
Heute will man, dass der Schauspieler Seele zeigt; und Seele unter der Maske ist wie Feuer unter der Asche. Dies sind die Gründe, die mich bewegen, auf die Abschaffung der Masken des italienischen Theaters hinzuarbeiten und an die Stelle von Possenspielen wahre Lustspiele zu setzen. (…)
Es gibt Leute, die sagen: „Man muß den Ton erheben und Achtung gegen das Publikum bezeigen“. Ich glaube, ihm am besten Achtung zu bezeigen, wenn ich ihm die Wahrheit ganz nackt und ohne Schminke vorlege.“
Carlo Goldoni
Die beiden Bücher, über die ich am meisten nachgedacht habe, die benutzt zu haben ich niemals bereuen werde, waren die Welt und das Theater.
Carlo Goldoni
Eine kurze Aufführungshistorie
Schon Johann Wolfgang von Goethe führte den Diener zweier Herren in Weimar auf.
1924 eröffnete Max Reinhardt sowohl das Wiener Theater in der Josefstadt nach einer großen Renovierung mit dieser Komödie, als auch im November 1924 die 2018 abgerissene Komödie am Kurfürstendamm in Berlin. 1946 kam es zu einer Wiederaufnahme von Reinhardts Inszenierung durch Hermann Thimig bei den Salzburger Festspielen in der Felsenreitschule.
Weltberühmt wurde eine Aufführung durch Giorgio Strehler 1947 am Piccolo Teatro in Mailand. Den Truffaldino spielte Marcello Moretti, nach dessen Tod ab 1963 Ferruccio Soleri, der in dieser Rolle bis ins Alter von 78 Jahren auftrat. Die Aufführung Strehlers im Bühnenbild Ezio Frigerios stand jahrzehntelang auf dem Spielplan und bereiste die halbe Welt und war u.a. 2006 auch im Berliner Ensemble zu sehen.
Am 15. November 2007 eröffnete das renovierte Theater in der Josefstadt mit einer Bearbeitung des Stückes von Peter Turrini.
2013 hat John von Düffel seine Neufassung von Goldonis Komödie „Der Diener zweier Herren“ verfasst, die unter dem Titel „Döner zweier Herren – oder: Hunger integriert!“ im selben Jahr am Theater Pforzheim uraufgeführt wurde.