Die triumphale Intrigen-Komödie aus den Vorwehen der Französischen Revolution bietet in dieser Version statt süßlicher Opernseligkeit geschliffenen Wortwitz und turbulenten Overdrive. Graf Almavivas „Recht der ersten Nacht“ scheint die #MeToo Debatte bereits vorweggenommen zu haben. Reichen Susannes und Figaros Witz als Waffe da noch aus?
Die Kritik („Eine gigantische Show!“) der Premiere am 1. August in Potsdam aus der PNN – Potsdamer Neueste Nachrichten finden Sie hier >>.
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Inhalt:
Figaro kann es kaum erwarten: Endlich darf er seine geliebte Susanne heiraten!
Sein Dienstherr, der Graf Almaviva, macht dem jungen Paar sogar eines seiner unzähligen Betten zum Hochzeitsgeschenk. Und gleich noch ein Zimmer in seinem Schloss dazu, direkt neben dem eigenen Schlafgemach… Damit Figaro einen kurzen Dienstweg hat, denkt Figaro. Seine Susanne weiß es besser!
Denn der testosterongesteuerte Graf hat es auf Susanne abgesehen. Er hintertreibt mit Hilfe seines Intriganten Bazillus die Hochzeitspläne und will auf das “Recht der ersten Nacht” mit der Zofe bestehen, während Figaro für ihn als reitender Bote außer Haus sein soll. Jenes „Recht“, das er selbst einst aus Liebe zu seiner Gräfin abgeschafft hatte.
Was jetzt?
Um Susanne heiraten zu dürfen, ohne auf die amourösen Besitzansprüche des Grafen eingehen zu müssen, will Figaro gegenintrigieren. Das Hochzeitspaar verbündet sich mit der unglücklichen Gräfin Almaviva: Ein Kleidertausch soll helfen, den lüsternen Grafen beim nächtlichen Rendezvous der Untreue zu überführen.
Hier betritt Cherubin die Szene: Der liebestolle junge Höfling, der hinter jedem Rock im Schloss her ist, soll Ihnen helfen. Doch da gerät das Verwirrspiel außer Kontrolle, denn die falsche Person steckt zur Unzeit in den falschen Kleidern im falschen Zimmer und der List droht die Entdeckung. Bis der arme Cherubin in Frauenkleidern mit einem gewagten Sprung aus dem Fenster das Weite sucht – direkt in das Blumenbeet des ewig betrunkenen Gärtners Antonio!
Auch das noch!
Zu allem Unglück kreuzt nun auch noch die abgetakelte Schlossbewohnerin Marcelline auf. Sie beansprucht Figaro für sich und hetzt ihm wegen eines angeblichen Eheversprechens ihren unseriösen Winkeladvokaten Doktor Bartholo auf den Hals. Mit einem korrupten Gerichtsverfahren sollen Susanne und Figaro in die Enge getrieben werden.
Aber Figaro ist mit seinem Witz und Charme noch lange nicht am Ende!
Worum geht’s?
Das Thema des Widerstandes gegen ungerechtfertigte Machtausübung, Ausnutzung von Abhängigen, sexuelle Übergriffigkeit gegenüber Schwachen und Machtlosen, ist durch die Beispiele der letzten Jahre im Zuge der #MeToo-Debatte so aktuell wie ehedem! Mit Hilfe der „Komödie“ verwandelt Turrini hier diesen Stoff in eine Geschichte darüber, wie man wieder Herr oder Frau über sich selber werden kann – denn das Stückende hat er in spektakulär deutlicher Weise geändert. Somit ist die Bearbeitung auch ein entschiedener Gegenentwurf zur lieblich säuselnden Opernbearbeitung des Stoffes und fordert den Zuschauer heraus, Haltung zum Geschehenen zu beziehen
„Laster, Missbrauch und Willkür ändern sich nicht, sondern verstecken sich unter tausend Formen hinter der Maske der herrschenden Sitten: Diese Maske herunterzureißen ist die edle Aufgabe dessen, der sich dem Theater verschreibt.“ Beaumarchais
Heraus kommt eine triumphale Intrigenkomödie, die sich mit geschliffenen Dialogen zur rasanten Screwball-Comedy entwickelt. Und so stürzt sich das Ensemble des Neuen Globe Theaters voller Charme, Tempo, Witz und Esprit in diese leicht überdrehte Verwechslungskomödie, um sie gänzlich zum Kochen zu bringen.
Pierre Augustin Caron de Beaumarchais schrieb sein gesellschaftskritisches Lustspiel 1784 im vorrevolutionären Frankreich. Die Uraufführung war ein triumphaler Erfolg und offensichtlich wirkte das Stück beim bürgerlichen Publikum wie eine Bestätigung seiner anti-aristokratischen Ressentiments. Leider entging diese Tatsache auch nicht der Zensur. Das Werk wurde verboten, der Autor kurzzeitig inhaftiert – zeigte doch der Text nur allzu deutlich auf, wie Standesunterschiede mit Wortwitz und List hintertrieben werden können.
Peter Turrini, der unermüdliche österreichische Autor – über 50 Theaterstücke, 3 Opernlibretti, 55 Buchausgaben, 14 verfilmte Drehbücher und 17 Hörspiele stammen aus seiner Feder! – ist für seine gesellschaftskritischen und volksnahen Stücke genauso bekannt wie für seine Klassiker-Bearbeitungen. Fast 200 Jahre nach der Entstehung des Werkes von Beaumarchais modernisierte er den Stoff.
Auszüge aus dem Interview mit Peter Turrini für das Neue Globe Theater, Jänner 2020
Salman Rushdie hat Ihnen anlässlich eines gemeinsamen Besuchs eines Weinkellers gesagt: „Fundamentalisten haben keinen Humor.“ Hätten wir mit mehr Humor eine bessere Welt? Oder anders gefragt: Ist die Welt mit Komödie noch zu retten?
Peter Turrini: Die Welt ist und bleibt eine Tragödie und der Mensch ebenso. Ich nehme mich selbst als Beispiel: Ich werde immer älter und hinfälliger. Also kaufe ich mir zwei Stecken und mache „Nordic Walking“, damit ich durch eifrigen Sport dem Tod entrinne. Vor kurzem habe ich bemerkt, dass auch der Tod auf „Nordic Walking“ umgestellt hat und mich verfolgt. Sie sehen, es gibt kein Entrinnen. In der Tragödie wohnt auch immer eine Komödie, deshalb schreibe ich ja Tragikomödien.
„Theater wohnt im Bauch, und wenn es besonders edel ist, in den Genitalien.“ Der gesamte Hofstaat im Tollsten Tag scheint nur Sex im Kopf zu haben, den er auf Kosten der Abhängigen ausleben kann. Sie haben das Stück in den 70er Jahren geschrieben, wie wichtig war für Sie dabei das Thema „Sexuelle Befreiung und sexuelle Revolution“?
P.T: Damals habe ich in einer Wohngemeinschaft am Rande Wiens gelebt und wir hatten nichts anderes im Kopf, als die Befreiung des Menschen, und die sollte mittels sexueller Freizügigkeit herbeigeführt werden. Das war in der Praxis dann ein bisschen komplizierter und vor allem langwieriger, als wir uns das dachten. Aber im Grundsätzlichen lässt sich folgendes aus meiner Sicht sagen: Die Menschen sind ja völlig eingemauerte Wesen voller Sehnsucht, und die einzige Form, diese Mauern zu durchbrechen, ist die Sexualität. Sie überwindet ja alle Schranken, die Klassenschranken, die Geschlechterrollen, sogar die Geschmacksgrenzen. Oder würden Sie bei vollem Bewusstsein einem anderen Menschen die Zunge in den Mund stecken? Die Liebe ist eine einzige Anarchie und funktioniert am besten, wenn sich zwei Anarchisten treffen.
Wir nehmen die sexuelle Übergriffigkeit des Grafen (und der anderen Rollen) bewusst auf. Heute kann ein Präsident Trump sich ungeniert mit „Pussy-Grab“ brüsten und „Macht“ mit „Recht“ gleichsetzen. Ist Ihr TOLLSTER TAG mittlerweile auch ein Statement im Rahmen der aktuellen #MeToo-Debatte?
P.T: So weit blickend war ich ja nicht, aber ein Punkt ist damals wie heute entscheidend: Ist die Liebe ein Kind der Freiheit, des gegenseitigen Übereinkommens oder der Macht, der Ausbeutung? Der Graf will seine sexuelle Lust durch Macht erzwingen, insofern ist ein Vorläufer von Harvey Weinstein.
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