Interview mit John von Düffel

Sieben Fragen an John von Düffel

Lieber Herr von Düffel, lange habe ich nach einer neuen Bearbeitung von Goldonis Commedia dell’arte Klassiker „Der Diener zweier Herren“ gesucht, bis ich endlich auf Ihre wirklich sehr frische und komödiantische „Pforzheimer Fassung“ gestoßen bin. Was hat Sie daran gereizt, die Handlung aus dem Venedig von 1746 ins Ländle der 1970er Jahre zu verpflanzen?

JvD: Die Lebendigkeit der Commedia dell’arte liegt im Spiel mit gewissen Typen und sozialen Unterschieden, den Studierten und den einfachen Leuten, den Besitzenden und den Hungernden, großen und kleinen Konflikten. Dabei ist der unzerstörbare Spaß der Commedia, das Oben und Unten der Statusunterschiede auf den Kopf zu stellen und eine mutige Geschichte des Überlebens zu erzählen. So auch bei Truffaldino, der aus Hunger und Verlegenheit zum Diener zweier Herren wird. Die Commedia aus Goldonis Zeiten gibt es nicht mehr, aber die Typen und die sozialen Unterschiede gibt es nach wie vor, und da ja nicht immer alle Geschichten in Berlin spielen müssen, kam ich auf die Goldschmiede-Stadt Pforzheim, die gleichzeitig einer der Schmelztiegel der Migration ist.

Beim Lesen Ihrer Bearbeitung musste ich immer wieder an Alfred Tetzlaff, Klimbim und eine gewisse Anarchie im öffentlich-rechtlichen Fernsehen der frühen 1970er Jahre in Westdeutschland denken. Hatten Sie ähnliche Assoziationen beim Schreiben?

JvD: Ja, die Zeitverschiebung in die 70er Jahre und der Retro-Charme der Vergangenheit helfen dabei, das Thema Migration, das heute so extrem und aufgeladen diskutiert wird, mit Abstand und einem gewissen Nostalgiefaktor zu betrachten. Das Tolle an der Vergangenheit ist ja, dass alle, die im Theater sitzen, wissen, wir haben sie überlebt. Ganz so schlimm kann es also nicht gewesen sein.

Aus Truffaldino wird in Ihrer Fassung Kemal, ein türkischer Gastarbeiter der zweiten Einwanderungswelle in die BRD im Jahr 1973. Eignet sich dieser Kemal heutzutage als positiver Held?

JvD: Er ist ein Underdog und eher ein Held wider Willen. Lieber würde er nach getaner Arbeit und möglichst wenig blauen Flecken satt und zufrieden ins Bett gehen. Seine Bedürfnisse sind einfach, seine Träume bescheiden und seine Ambitionen gering. Aber Not macht ihn erfinderisch, und da er von einer Klemme in die nächste stolpert und so gut wie kein Fettnäpfchen auslässt, muss er als Spieler und Improvisator über sich hinauswachsen. Am meisten Freude macht es mir, ihm beim Erfinden seiner Notlügen zuzusehen und mitzuerleben, wie er sich immer noch gerade so aus dem Schlimmsten herauslaviert. Dieses Spielerische im Umgang mit den allergrößten Schwierigkeiten wünsche ich mir manchmal – nicht nur für mich, sondern für viele andere auch!

Die Einwanderungssituation in Deutschland wird heute, laut Umfragen, als eine der wichtigsten Herausforderungen der deutschen Politik angesehen. Ist dieser Aspekt nur eine Fußnote in Ihrer Stückfassung oder brechen Sie auch eine Lanze für eine sogenannte „Wirtschaftsmigration“?

JvD: Das Stück hat keine politische Botschaft im Parteibuch-Sinn. Die Commedia ist eine zutiefst menschlich-allzumenschliche Kunst. Dadurch hat sie eine große empathische Kraft und die Wucht des befreienden Gelächters. Die Chance der Geschichte liegt also eher darin, dass man der Underdog-Perspektive begegnet und über weite Strecken des Stückes mit Figuren lacht, über die man sonst vielleicht eher den Kopf schüttelt und die man nicht zu verstehen glaubt.

In der Jury-Begründung zur Förderung unserer Produktion durch das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg heißt es u.a.: „Es ist erstaunlich, wie aktuell die vom Theater Pforzheim in 2013 an John von Düffel vergebene Auftragsarbeit einer Neuschreibung des Commedia dellarte Klassikers Der Diener zweier Herren“ von Carlo Goldoni ist. Hier werden mit Mitteln der Komödie zeitrelevante Fragen gestellt – auch um ausländerfeindliche Klischees aufzubrechen – in Anbetracht der wirtschaftlichen Ambitionen in Brandenburg mit der Ansiedlung globaler Unternehmen und dem demografischen Wandel ein höchst zu begrüßendes Vorhaben. Auch empfiehlt das Neue Globe Theater mehr Gelassenheit und den Blick auf die Bereicherung anderer Kulturen zu bewahren.“

War das bereits Ihr Gedanke, als Sie die Auftragsarbeit für das Stadttheater Pforzheim angenommen haben?

JvD: Am Theater Pforzheim war damals ein langjähriger Schauspieler-Kollege und guter Freund von mir Schauspieldirektor, Murat Yeginer. Er war und ist einer der ersten Gastarbeiter-Söhne, die es auf deutsche Sprechbühnen geschafft haben. Die Ironie des Schicksals wollte es sogar, dass er nach seiner Zeit in Pforzheim leitender Regisseur am Ohnsorg-Theater in Hamburg wurde. Seine Geschichte ist also eine der Integration und Assimilation, teils unter schwierigsten Bedingungen. Die Art und Weise, wie er manchmal um sein Leben gespielt oder sich aus der Not herausimprovisiert hat, war für mich beim Schreiben der Neufassung eine Inspiration.

Ich habe einige Stücke von Ihnen gelesen, Sie arbeiten sich immer wieder gerne an klassischen Stoffen und Figuren ab. Was reizt sie daran, alte Geschichten in neue Zusammenhänge zu stellen?

JvD: Ich glaube, dass in den alten Geschichten eine große Kraft steckt, deswegen – und nicht nur wegen der Lehrpläne von Schulen und Universitäten – sind sie Klassiker geworden. Doch diese Kräfte, das Lustmachende und Lebendige der klassischen Geschichten, wird oft von Bücherstaub und Fußnoten überdeckt. Aufgabe des Theaters ist es aus meiner Sicht, diese Geschichten immer wieder neu und immer wieder anders zum Leben zu erwecken, für ein Publikum von heute Zugänge zu legen und unsere Gegenwart mit anderen, scheinbar fernen Zeiten zu verbinden.

Ab 2025 leiten Sie als Intendant das E.T.A. Hoffmann Theater in Bamberg. Herzlichen Glückwunsch! Bleibt da noch Zeit zum Schreiben?

JvD: Das hoffe ich sehr! Schließlich möchte ich den Beweis antreten, dass Theater ein Gesamtkunstwerk ist, zu dem nicht nur Regie, Bühne, Kostüme und ein tolles Ensemble gehören, sondern auch Autorinnen und Autoren, die mit Sprache umgehen können und dafür sorgen, dass das Literarische und das Leben sich verbinden. In diesem Sinne ist der Name des Autors E.T.A. Hoffmann natürlich Programm.

Lieber Herr von Düffel, vielen Dank für dieses Interview!

Die Fragen an den Autor John von Düffel stellte der Regisseur Kai Frederic Schrickel schriftlich im Februar 2024.